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Blau/Rot.
„Bei Ihnen zeigen sich starke Verhaltensweisen einer bipolaren Persönlichkeitsstörung. Sie sind manisch-depressiv, Herr Behrenbeck!“
Es war die Nacht, nachdem ich mich freiwillig in eine psychiatrische Klinik in Hamburg einweisen ließ. Ich kann mich an das Protokoll, welches mir nach meiner Entlassung - veranlasst durch mich, nach nur wenigen Tagen - ausgehändigt wurde, nur wage erinnern und ich weiß auch nicht, in welcher Kiste, dieses nun nach so vielen Umzügen schlummert. Ich weiß aber, dass es mich als sehr gespalten bezüglich meiner Aussagen in der Nacht beschreibt. Von „Ich möchte dieses Leid nicht mehr ertragen. Wieso hat er mich betrogen?“ bis „,Warum sieht eigentlich keiner, dass ich einer der größten lebenden Künstler bin?“ war im „Ich-hab-eine-Meise-Bingo“ alles dabei. Zudem weiß ich auch, dass ich mich nie wirklich umbringen wollte, dass ich es nicht mal versucht habe. Ich war schon damals viel zu verliebt und besessen von meiner Karriere, meiner Kreativität und meinem Talent, dass ich das niemals hätte freiwillig beenden wollen. Jedoch wusste ich nicht, wo ich sonst Hilfe und ein Ohr finden sollte.
Nach dieser Nacht wurde mir also ein weiterer Stempel auf die Stirn gedrückt. Mittlerweile habe ich das Gefühl, ich bin ein alter Koffer, auf dem man Touristen-Sticker aus besuchten Städten sammelt. Demnach: Schön eine weitere Stadt in meiner langen Liste begrüßen zu dürfen.
„Herzlich Willkommen, Bipolare Persönlichkeitsstörung!“
In den letzten Jahren ist dieser Begriff, ebenfalls wie Bulimie, Magersucht, Binge-Eating oder Depression zu einer Trenddiagnose geworden. Diverse soziale Netzwerke, insbesondere Tumblr oder Instagram sind zu mentalen Spielplätzen für diese Krankheiten gewachsen. Wer es nicht ist, ist es spätestens nach einem Besuch oder der Suche nach den richtigen Tags auf dieser Plattform oder noch viel schlimmer: Glaubt es zu sein. Damit spiele ich nichts runter oder möchte respektlos wirken. Nein. Ich möchte damit sagen, dass sich im Internet viel zu viele Hilferufe erkrankter Jugendlicher befinden und diese als „Kunst“ gereblogged werden. So ging es mir damals auch.
Ich baute mein Haus, meine Persönlichkeit, meine Gefühle zuversichtlich in die Mitte zweier Extreme. Zwischen selbstwertlos und hochmotiviert. Zwischen tagelang das Bett nicht mehr verlassen und Leben komplett im Griff haben. Zwischen „Ich möchte nicht mehr existieren!“ und „Ich weiß, ich kann Großes schaffen!“. Baute es zwischen Liebe und Leid. Zwischen Leben und Tod. Baute es direkt zwischen blau und rot. Schön, dass mein Haus jetzt immerhin einen Namen trug.
Und ich habe es wirklich schön hergerichtet. Ich habe mich wirklich gut und sorgfältig um mein Haus zwischen den Extremen gekümmert. Malte es aus, richtete es nach meinem minimalistischen Geschmack ein, räumte Kleider, Möbel und alte Säcke aus alten Geschichten, alten Wohnungen fleißig und sorgfältig herein. Legte eine Herzlich Willkommen Matte vor die Tür und lebte mein Leben von jetzt an, eben zwischen den Stühlen. Auch ganz nett dachte ich. Lediglich eine kleine Namensänderung musste ich mit der Zeit veranlassen:
„Aus ‚Bipolare Persönlichkeitsstörung‘ wurde im Handumdrehen ‚Quelle aller Kreativität‘.“
Denn ich meine: Hallo, ich bin Künstler. Die müssen doch leiden. Die haben doch alle irgendwie ein Rad ab, laufen nicht ganz rund, haben nicht alle Tassen im Schrank. Ich bin eben Künstler. Da muss man eben leiden, einen Todeswunsch haben und naja eben unglücklich leben. Man sagt doch „Art doesn’t come from happiness“. So sagt man. Ja. Gehirnwäsche hat also mal wieder hinreißend funktioniert. Dass ich mir sowas ganz hervorragend einreden kann und mir selber dann auch noch jeden Unfug glaube, werdet ihr später noch an einem anderen Beispiel sehr bildlich nachvollziehen können. Ich war also verliebt in meine Krankheit. Ja, ich hab sie als Teil von mir und viel fataler meiner Kreativität und meines Schaffensprozesses angesehen, ja, ich war fast schon stolz. Durch meine schnellen Stimmungsschwankungen wurde mir nie langweilig. Ich hatte immer neue Impulse, hervorgerufen durch von mir bewusst inszenierte Extremsituationen wie Streits, Sex mit dem Ex, kreative Projekte oder eiskalt-manipulierte Freundschaften. Ich warf mich lächelnd Tag für Tag in meine eigene Kreissäge und dachte, dass das normal sei. Aber: Ein Normal gab es für mich nicht. Es gab eben nur schwarz oder weiß, nur rot oder blau, es gab nie ein grau. Dieser schnelle Wechsel zwischen Leid und Liebe am Leben und an dem, was ich tue, war für mich inspirierend. Aus ihm zog ich Kraft. Schließlich dachte ich, das sei das, was Künstler eben ausmachte. Und ich wollte doch unbedingt einer sein. Einer wie McQueen. So sein wie er. So extrem. So düster. Ich dachte, wenn ich all’ das aushalte, dann bin ich dem ein Stück näher. Vollkommen ausgeblendet habe ich dabei nur, dass die depressiven Phasen, genau das Gegenteil waren und wohl doppelt so intensiv, wie meine manischen Tage. Bereits um 11 Uhr morgens betrunken, nicht anwesend in der Uni und ungeduscht, schloss ich mich in meinem Zimmer ein. Durchlitt alles nochmal von vorne. Bewusst. Nochmal durch die Trennung, nochmal durch den Schmerz, alles nochmal durchkauen. Stundenlang lag ich rum, wusste nichts anzufangen mit mir, mit der Zeit, mit meinem Leben. Aber Hey, das gehörte wohl dazu. Da muss ich jetzt durch. Therapie? Wozu? Dann geht doch nur meine ganze Inspiration verloren, dann bin ich ja plötzlich normal. Woher denn dann den ganzen Schmerz nehmen um all das hier erschaffen zu können? Nein, ich muss das aushalten. Im Sinne meiner Kunst.
„Ohne meine Krankheit, bin ich doch nichts mehr!“
Genau das musste sich mein Umkreis gefühlte hundert Mal anhören. Und ich erzählte es auch jedem, der es hören wollte. Mich freute diese durch meine Krankheit ausgelöste Produktivität. Ganz im Gegenteil zum Vergnügen meiner Freunde oder Kollegen. Denn die wurden bei jedem Treffen mit dem gleichen Problem, der gleichen Frage konfrontiert: Welchen Julian treffe ich heute? Durch meine schnell wechselnden Phasen der Depression und Manie war es immer ein Glücksspiel in welcher Stimmung ich meinem Gegenüber unter die Augen treten würde. Etwas, das für Freunde schwer zu verstehen und zu akzeptieren war. Verständlich. Denn mich gab es ja nur in Extremen. Entweder war ich ein kleines widerwärtiges Stück Scheiße, der an Allem und Jedem etwas auszusetzen hatte und nicht verstand, wieso man mich noch nicht auf diese Stelle gesetzt oder jenen Preis verliehen hat. Oder ich war ein kleines Häufchen Elend, der jedem in kürzester Zeit die gesamte Geschichte meiner Liebe, Trennung und meines Schmerzes an den Kopf warf. Also wie man es drehen und wenden wollte: Eigentlich ging es immer nur um mich. Noch heute erkenne ich diese Verhaltensmuster.
In depressiven Phasen höre ich auf zu essen und zu reden, sitze stillschweigend im Office, beschalle mich mit Musik um der ganzen Situation zu entkommen. Ich verschwinde im Chaos. Ich werde unsichtbar für mich und alle drum herum. In Situationen wie diesen kann man leicht vergessen, dass ich anwesend war. Vorrausgesetzt ich war auch wirklich anwesend und ich habe es ins Office geschafft. Oftmals sind diese Tage so schwer und unerbittlich, dass ich nicht aus dem Bett komme, mich grade einmal ins Bad, zum Kühlschrank und zurück ins Bett schleppe und den ganzen Tag zu rein gar nichts zu gebrauchen bin. Es sind die Tage, an denen ich grade auf Instagram sehr aktiv bin. Aus dem einfachen Grund, dass ich mich nach Zuspruch sehne, einem Like, einem Herz, einem Doppel-Tap. Nach dem Gefühl, das mir sagt, dass ich nicht so wertlos bin, wie ich mich grade fühle. Ja. diese Tage sind immernoch. Ebenso wie die Tage des kompletten Gegenteils. Denen ich meine komplette Karriere zuschreibe.
„Ich bin nicht alleine. Ich bin mindestens zu Fünft.“Es hat erst einen Umzug nach Wien, das Gefühl von Einsamkeit und den Realitätsschock, dass ich nicht mehr fähig bin zwischenmenschliche Beziehungen einzugehen, da ich bereits tagtäglich mit meiner Krankheit Händchen halte, gebraucht, bis ich mich wirklich einer Therapie öffnen konnte.
Einmal wöchentlich düste ich 40 Minuten quer durch Wien, um mich eine Stunde mit meiner Therapeutin zu unterhalten. Ich kam immer mit einer Art To-Do Liste. Die Zeit wollte ja genutzt werden und nur rumsitzen und plaudern, wollte ich ja auch nicht. Zeit ist Geld. Also notierte ich im Laufe der Woche alle Situationen oder Auslöser, die mir bewusst aufgefallen sind, um diese dann im Gespräch auseinander zu nehmen und zu analysieren. Alleine das Aufschreiben half mir und meinem verknotetem Kopf und Verstand ungemein sich zu entwirren. Eine gewisse Zeit unterstützen wir die Therapie mit Medikamenten, die meine extremen Stimmungsschwankungen und zu dem Zeitpunkt aufgetretenen Schlafstörungen mildern sollten. Ersteres setzte ich wieder sehr zeitnah ab, da ich das Gefühl hatte Situationen ganz gut einschätzen zu können und mein Leben wieder mehr und mehr fest im Griff hatte.
Im Laufe meiner Sitzungen kamen wir an dem Punkt, an dem ich verlauten ließ, dass ich ab und an das Gefühl habe mich zu verlieren, nicht wirklich zu wissen wer ich bin. Ich schob dieses Gefühl auf „die zwei Herzen in meiner Brust“, weswegen ich diesen Gefühlscocktail lange für nicht wichtig hielt, da es Teil meiner emotionalen Achterbahnfahrt für die ich ja nun mal eine Jahreskarte erstanden habe, war. Aber jetzt war ich bereit. Ich hatte mich so sehr verloren, dass ich gefühlt meine Persönlichkeiten und Gedanken schneller wechselte, als andere ihre Diäten. Ich brachte zur Sprache, dass ich Angst hatte, durch meine so schnelle und frühe Karriere, Zeit nicht genutzt zu haben, die ich vielleicht in die Selbstfindung hätte investieren sollen, damit ich jetzt fähig wäre zu sagen: Das bin ich. Genau so. Meine Therapeutin erwiderte meine Problemstellung mit einem Satz, der mir rückblickend in der ganzen Therapie wohl am meisten geholfen hat: “Wir müssen verstehen, dass wir uns als Persönlichkeit nicht auf ein Ergebnis festnageln können. Wir bestehen aus verschiedenen!“
Für mich klang das im ersten Moment absolut nicht hilfreich, sondern eigentlich mehr beängstigend. Für die nächste Woche gab sie mir die Aufgabe mich gezielt und konzentriert auseinander zu nehmen, um mich in verschiedene Rollen unterteilen zu können, mit denen ich mein Leben spiele. So weit, so gut. Ich dachte immernoch an meine zwei verschiedenen Extreme und schrieb diese als erstes auf die Liste. Eine Woche später nahmen wir ganze fünf verschiedene Rollen (Mit Luft nach Oben) unter die Lupe. Plötzlich stand da nicht mehr nur manisch und depressiv. Da standen 5 Persönlichkeiten.
Der romantische Künstler.
Der ehrgeizige Workaholic.
Die 40-jährige Alkoholikerin.
Die sexbesessene Drecksau.
Die bodenständige Hausfrau.
So schriftlich auseinandergenommen, offen- und dargelegt verstand ich mich ein Stück besser. Sah ein wenig mehr klar, wieso gewisse Situationen abgelaufen sind, wie sie sind oder Andere komplett anders. Wieso Freunde sagen, ich bin von Tag zu Tag anders und die krasseste Achterbahnfahrt, wie man erleben kann. Ich bin eben mindestens zu Fünft in meinem Kopf. Und nicht nur ich. Das sind wir alle. Jeder von uns kann sich genau so auseinander nehmen und sehen, welche Rollen wir in gewissen Situationen annehmen, welche Charakterzüge wir an den Tag legen. Wir sind nicht ein Charakter. Wir sind eine nette Truppe. Und jeder will mal seine Sendezeit.
Nachdem dass da alles so stand, half mir das meiner Krankheit und den Extremsituationen den Kampf anzusagen. Alleine, weil alle meine Rollen nun eine Beschreibung hatten, war ich viel fähiger diese zu steuern, zu spüren und zu lenken. Ich war fähig gewisse Rollen schnell von der Bühne zu schmeißen, bevor das Publikum den Saal verließ, weil sie etwas anderes erwartet haben.
Ich war endlich fähig ich zu sein.